Freiheit stößt in der Guckkastenbühne an Grenzen

OFFENBURG. Das Stadtarchiv sollte eine Aufzeichnung dieser Inszenierung gut aufbewahren: In „Story Offenburg“ reden 30 Offenburger Bürger von 18 bis 80 Jahren über den Freiheitsbegriff, blicken zurück und voraus, befassen sich mit der aktuellen Politik genauso wie mit der Geschichte, und liefern ein Zeitbild, das tiefe Einblicke gewährt in Themen, die die Offenburger – und viele andere Menschen – derzeit bewegen.

Story Offemburg BZ
Story Offemburg BZ

Die Junge Theaterakademie Offenburg unter Leitung von Annette Müller hat für die insgesamt 29 Szenen, die beim Freiheitsfest Premiere hatten, trotz des Themas „Freiheit“ eine klare formale Beschränkung gewählt: Gespielt wird in einem Bauwagen, bei dem eine Längswand durch eine Plexiglasscheibe ersetzt wurde. Eingesperrt wirken die Schauspieler zuweilen, sie stoßen in manchen Szenen bewusst und kraftvoll gegen Wände und Scheibe. Zudem wird zum Beispiel in einer Szene, in der es um die Beschränkung der persönlichen Freiheit durch die digitalen Medien geht, dieser kleine Raum noch einmal verengt. Guckkastenbühne extrem ist angesagt, wenn Hanna Füger als verführerische digitale Assistentin Cortana mit den Möglichkeiten des Netzes wirbt und wie das Glasmännlein im Kalten Herz dem Nutzer alle Wünsche zu erfüllen verspricht. Die Bezüge zu dieser vorigen Produktion der Offenburger Theatermacherin Müller sind unübersehbar, denn beide Male geht es um die Freiheit an sich, um Armut und Reichtum, um Freiheit des Denkens und der Lebensentscheidungen, aber auch um Fremdbestimmung und Verantwortung.
Das Theatererlebnis wird durch Kopfhörer individueller

Das alles wird in jeweils für sich genommen eigenständigen Szenen erörtert, bebildert, getanzt, pantomimisch gezeigt, erzählt. So vielfältig wie die Darstellungsformen sind auch die Inhalte, die in langer Vorarbeit unter anderem durch eine Umfrage unter 100 Offenburgern ersonnen wurden, die sich aber auch aus den Biografien und Interessen der Schauspieler herleiten. So berichtet Künstlerin Anna Higgs in einer autobiografischen Szene von ihrer dramatischen Flucht aus der DDR, Samantha Richardson erzählt auf Englisch die Geschichte der Schwarzen von der Versklavung bis hin zur – faktisch unvollkommenen – Gleichberechtigung, und Fotograf Wilfried Beege berichtet von der Freiheit, „Nein“ zu sagen. Es gibt ernste, dramatische, verstörende Szenen, aber auch viel Humor und Leichtigkeit in dieser Inszenierung, die unter anderem durch ein ausgefeiltes Sounddesign (Christian Kessler und Leonard Küßner) so eindrücklich wirkt. In einer Szene zerschlägt Küßner mit seinen Schlagzeugstöcken rhythmisch ein Plakat aus Rollenmakulatur, auf dem das Wort „Menschenrechte“ geschrieben steht. Der Klangteppich, der durch Schlagen und Reißen entsteht, vervielfältigt sich in einem Echo, das zudem in Stereoeffekten auf die Kopfhörer der Zuschauer übertragen wird.

Dieser Kunstgriff, dass nämlich der Ton aus dem Bauwagen direkt und drahtlos – wie bei einer Silent Disco – auf die Ohren des Publikums übertragen wird, hat durchaus überraschende und weitreichende Wirkung. Das Theatererlebnis wird intimer, individueller, man fühlt sich direkter mit den Schauspielern und viel weniger mit den anderen Zuschauern verbunden. Mag sein, dass manche Szene deshalb umso mehr unter die Haut geht, mag sein, dass man sie deshalb eher auf sich bezieht. Wie hältst du’s mit der Freiheit, scheint die Inszenierung zu fragen, und liefert sowohl poetische wie auch politische Denkanstöße dazu. Zweieinhalb Stunden dauert das Gesamtkunstwerk, doch steht es den Zuschauern frei, nur Teile anzusehen, wegzugehen, wiederzukommen, zu sitzen oder zu stehen. Es lohnt sich auf jeden Fall, dieses beeindruckende zeitgenössische Volkstheater aus Offenburg anzusehen.
Story Offenburg. Volkstheater-Stadtlabor Freiheit. Weitere Aufführungen auf dem Lindenplatz: Freitag, 7. Oktober, ab 18.30 Uhr, Samstag, 8. Oktober, ab 18.30 Uhr und Sonntag, 9. Oktober, ab 14 Uhr. Eintritt frei.

Mo, 12. September 2016
Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der Badischen Zeitung.
von: Juliana Eiland-Jung Foto: Faruk Ünver

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