Theaterstück „Geschenktes Leben“ feiert im Salmen Premiere / Einleitende Lesung von David Wagner, dem Autor der Romanvorlage.
Badische Zeitung vom 24.2.2014OFFENBURG. Der Ich-Erzähler W kommt um Mitternacht nach Hause, findet im Kühlschrank ein Glas Apfelmus, löffelt, verspürt ein Kratzen im Hals. Im Bad blickt er in den Spiegel – „Nichts Besonderes. Ein wenig blass vielleicht“ – und erbricht Blut. Krampfadern in der Speiseröhre: „Ich weiß, dass ich nun nach innen blute, nicht ohnmächtig werden darf. Ich muss den Notarzt rufen …“
So beginnt David Wagners Roman „Leben“, und so beginnt Wagner seine Lesung am Donnerstag im Salmen, die sich im Laufe des Abends als ideales Pendant zur anschließenden Premiere von Annette Müllers Stück „Geschenktes Leben“ nach Wagners Text erweisen wird. Wagner liest den Einstieg lakonisch-monoton. Eine irritierende Situation: Es geht um Leben und Tod, doch der Ichheld W verliert im Dickicht einer selektiven Detailwahrnehmung das Gefühl für Zeit.
Im Stück spricht Mark Gert als W diesen Einstiegstext zu einem imaginären Zuhörer, der identisch ist mit dem Publikum im vollbesetzten Salmen. Staunend, als wäre es der Anfang eines Wunders – das nach und nach tatsächlich eintritt. Die Varizen hängen mit Ws kranker Leber zusammen. Er hat eine Autoimmunkrankheit: Sein Körper bekämpft seine Leber wie einen Feind. Er überlebt den Blutsturz, und es wird klar: Er muss wieder auf die Warteliste für eine neue Leber.
Hier teilt sich das Stück auf. Da ist Ws Auseinandersetzung mit dem Leben und dem Tod. Will er denn weiterleben? Leben durch den Tod eines anderen, des Spenders? Vielleicht auch durch den Tod dessen, der sonst die für ihn bestimmte Leber bekäme – einmal schon hat er die Organspende abgelehnt.
Die Egozentrik der Figuren wird mit Ironie ausgebreitet
Da ist auch der Kosmos Klinik. Ärzte, die medizinchinesisch sprechen, Laborergebnisse diskutieren, effektive Abläufe vorantreiben und wenig Zeit für Romantik und Muse haben. Patienten, die – das englische „patience“ bedeutet Geduld – ihre Zeit mit kleinen Dingen füllen und immerzu davon erzählen: in welchen Kliniken sie schon waren, wie lange die letzte Leber gehalten hat, kleine Beispiele für Egozentrik. Sie werden mit Ironie ausgebreitet, aber nicht mit Bosheit. Und manchmal mit Poesie: Da ist die Patientin, die den Baum vor ihrem Zimmerfester für sich vereinnahmt: „Meine Kastanie verliert ihre Blätter.“ Für den im Zimmer nebenan ist es seine Kastanie.
Bei den Ärzten gelingt Regisseurin Annette Müller diese Balance aus Menschlichem und Ironischem ebenso – auch dank guter Darsteller. Robin Krehl spielt den Chefarzt als kühlen Pragmatiker und lässt zugleich, etwa in einer sachlichen Bemerkung über einen Operationsverlauf, gerechten Stolz auf ein gerettetes Leben durchschimmern. Das ist toll und schärft den Blick für das, was in der Realität in Kliniken geleistet wird. Souverän setzt Müller Filmprojektionen ein, Musik, Schattenriss-Szenen und andere Brechungen, etwa wenn Schauspieler aus dem Semi-Off Sachinformationen geben.
Müller hat sich entschlossen, noch eine weitere Ebene einzuziehen, die Geschichte von Elisa, nach dem Jugendbuch „Ein Funken Leben“ von Anne Janssen. Elisa, gespielt von Hannah Adam, empfindet Schuld, weil sie nicht mit im Auto saß, als sie bei einem Unfall ihre Eltern und ihre Schwester verlor. Die Szene, in der ein Klavierakkord ihre inneren Stimmen übertönt, zum ersten Schrittchen aus dem seelischen Exil in das neue schwierige Leben wird, ist dramatisch und zärtlich zugleich. Der Tod ihrer Eltern ermöglichte Ws neues Leben. In der Rückblende gibt dieser Gedanke Elisa Trost. „Es gibt noch so viel zu leben“, sagt W zum Schluss, es klingt leicht und schwer zugleich, und ohne Pathos.
Annette Müller hat mit ihrer Truppe einen Abend geschaffen, der anrührt und Denkstoff liefert, Tragisches und Hoffnungsvolles und Komisches zusammenführt – ein Stück Leben, hier als ein Stück Theater, das den Zuschauer in dieses Leben hineinholt.
Info: „Geschenktes Leben“, von Annette Müller nach Texten von David Wagner und Anne Janssen. Nächste Aufführung: Dienstag, 21. Februar, 20 Uhr, Salmen. Weitere Termine: 18. und 20. März.
Rob Ullmann
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