Annette Müller und die Junge Theaterakademie diskutieren in „Work replace 4.0“ die Folgen der Digitalisierung für die Gesellschaft.
OFFENBURG. Ein Theaterstück, bei dem die Besucher mal nicht ordentlich in Reihen auf bequemen Sesseln sitzen und sich das Geschehen auf der Bühne anschauen, sondern Beweglichkeit von ihnen verlangt wird, und bequeme Kleidung dem Theatergenuss sehr zu Gute kommt: „Work replace 4.0“, das neue Stück der Jungen Theaterakademie Offenburg, feierte jetzt im Offenburger Georg-Dietrich-Areal Premiere.
Die eineinhalbstündige Inszenierung von Annette Müller stellt sich der brennend aktuellen, aber auf der Bühne schwer zu verhandelnden Diskussion über die positiven wie negativen Folgen der Digitalisierung in einer spannenden Mischung aus analoger und digitaler Welt, die zu gleichen Teilen den Graswurzel-Bewegungen des Zimmertheaters wie der kreativen Programmierszene verpflichtet ist. Die Kreativen aus beiden Welten haben sich zusammengetan und lassen die Zuschauer wie unter dem Brennglas erleben, wie sehr sich beide Bereiche längst vermischt haben, und wie dringend notwendig es ist, dies öffentlich und künstlerisch zu reflektieren. Auch wer sich den sozialen Medien verschließt, wer die technischen Neuerungen kritisch sieht und sich fernhält, kann sich den Entwicklungen nicht entziehen – nicht in der Arbeitswelt, aber auch nicht im Privaten. Womöglich verpasst man aber gerade durch die kritische Grundeinstellung und Distanz den Moment, an dem es gilt, aktiv zu werden, um Meinungsfreiheit und Demokratie zu schützen und wichtige neue Impulse zu nutzen.
Das Stück verhandelt all dies szenisch und im Dialog mit den Besuchern, die immer wieder aufgefordert werden, auf Fragen zu antworten. Diese tauchen auf den Smartphones auf, mit denen jeder Zuschauer vor Beginn der eineinhalbstündigen Aufführung ausgestattet wird, oder sie werden von den Darstellern direkt gestellt und die Antwort wird analog gegeben, indem sich das Publikum an einem Wegweiser – stimme zu, stimme nicht zu, unentschieden – positioniert.
Es ist diese Mischung, die das Stück interessant, aber auch ganz schön anstrengend macht. Man merkt, wie sehr sich das ganze Team der elf Schauspieler und die Crew der Technik-Verantwortlichen an der Sache abgearbeitet haben. Die digitale Herausforderung wird in ein Setting der Hochgebirgskletterei eingebettet, die Besucher werden mit Helm, Kopflampe und Seil ausgestattet und absolvieren den Parcours durch die szenischen Inseln der Inszenierung als Team. Das Thema ist weit gefasst, so dass auch die Folgen der Digitalisierung wie der Verlust auch höher qualifizierter Arbeitsplätze eine Rolle spielen. Soll die Gesellschaft darauf mit einem bedingungslosen Grundeinkommen reagieren? Oder sollen wir einfach zu den Robotern sagen: „Stopp, wir machen unsere Arbeit lieber selbst“? Ziviler Ungehorsam gegenüber Alexa & Co., das klingt irgendwie noch ganz lustig. Bei den Einblicken in das chinesische System des „social scoring“ wird klar, dass es sich hier nicht um technische Spielereien handelt, sondern um eine Überwachungsmaschinerie, gegen die die Stasi wirkt wie ein Sandkastenspiel. Ein aufrüttelndes Stück, dessen Inszenierung starke Bilder und wichtige Denkanstöße liefert.
„Work replace 4.0“. Von Annette Müller für die Junge Theaterakademie Offenburg. Weitere Aufführungen am 23., 25. und 26. Juli. Beginn ist jeweils 20 Uhr. VVK unter anderem über das Bürgerbüro Offenburg. Eintritt: 13,10 Euro. Ort: Georg Dietrich Areal (B3 Richtung Achern, bei der Fußgängerbrücke nach dem Ortsschild Bohlsbach). Aufgeladenes Smartphone und Kopfhörer mitbringen. Digitales Programmheft: workreplace.home.blog
Juliane Eiland-Jung Badische Zeitung 23.7.2019 Foto: Christof Breithaupt