Badische Zeitung vom 05.02.2015
Die Junge Theaterakademie stellt mit „My only friend the end“ die Frage nach jugendlicher Identitätsfindung im Spätkapitalismus.
OFFENBURG. Wo willst du Freiheit suchen, wenn es nirgends Grenzen gibt? Worum kämpfen, wenn du alles geschenkt bekommst? Folgerichtig suchen die sechs Jugendlichen in „My only friend the end“ der Schweizer Autorin Martina Clavadetscher Grenzen, und sie kämpfen in einem Dschungel von Ansprüchen und Verhaltenserwartungen um das schlichte, simple Erspüren dessen, was sie sind, was sie ausmacht und was ein selbstbestimmtes Ziel sein könnte.
Die jüngste Produktion der Jungen Theaterakademie Offenburg – die Premiere war am Dienstag im Salmen – bietet einen extrem packenden und lohnenden Theaterabend. „Nichts passiert!“ schreit eine aus der Clique frustriert. „Du kiffst – nichts passiert. Du prügelst – nichts passiert.“ Immer ist irgendwo Verständnis. Sie sei ja intelligent. Ein bisschen eigenwillig. Müsste mehr lernen. Ohne Lernen geht’s nicht. Die Reaktion auf diese Reaktion: Noch mehr Frust, Prügeln, Saufen, Kiffen. „Da habt ihr meine Sozialkompetenz, meine Toleranz. Ich will sie nicht, diese verkackte Zukunft.“
Einer aus der Gruppe, Luka, hat Ernst gemacht. Etwas getan, was nicht mehr rückgängig zu machen ist. Sich vor den Tunnel gestellt, aus dem der IC kam. Diese Tat ist Auslöser für das, was auf der Bühne passiert. Die sechs „Überlebenden“ sind erstarrt. Ein Ritual des Gedenkens führt zur Auseinandersetzung. Ist Luka ein Held? Ein Verräter? Wir erleben Gewaltphantasien. Eine aus der Clique hätte neben Alkohol auch die Knarre des Vaters mitbringen können. Sie „schießen“ wild um sich, auch ins Publikum. Es folgen Zynismus, das Losgehen auf einen in der Clique, Hass- und Wutausbrüche, Verachtung: „Die Alten denken, ich kucke Pocahontas oder so ein Scheiß . . . “ Und irgendwann bittere Erkenntnis: „Niemand kann den Zug anhalten. Nicht einmal ein beschissener Zauberer. Die Welt ist lustig, aber nicht Ha-Ha-lustig.“ Und Sehnsucht: „Da ist dieser schwarze Fleck in mir. Ich denke immer, sie müssen ihn sehen. Aber sie sehen durch mich hindurch. Reden über meine Zukunft, meine Chancen. Ich sollte es ihnen sagen, aber es geht nicht.“
Die Inszenierung von Annette Müller ist unglaublich stringent. Kein Gramm Zucker. Alles ist sinnhaft. Da sind diese Plakate im Hintergrund mit den modernen Imperativen: „Gewinnen, genießen!“ oder „I will do it my way“. Und Blechtonnen. In einem toll choreographierten Wutausbruch werden sie mit Knüppeln traktiert, in einem Moment der Ratlosigkeit legen sich die sechs der Clique auf sie, wie ein Neugeborenes auf den Bauch der Mutter.
Groß auch der Soundtrack von Christian Kessler, schwebende, mäandrierende Klänge, immer kurz vor dem Ausbruch, Musik wie ein psychisches Gefängnis. Und dann die sechs Darstellerinnen, die sich hineinschrauben in ihre Rollen! Sie müssen hier genannt sein: Hannah Adam, Hanna Füger, Sarah Lieser, Nora Müller, Sophia Saier und Caroline Scheringer.
Und noch etwas muss gesagt sein: Ein solches Stück in derart exzellenter Qualität aufzuführen, ist nicht im Mindesten „normal“. In Offenburg schon gar nicht. Es ist absolut außergewöhnliches und hoch intensives Theater.
von Robert Ullman
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