Südwest Presse Neckar Chronik vom 05.10.2013
Die Eigenproduktion des „Theaters im Gewölbe“ aus Offenburg, dem Lamathea-Preisträger in der Sparte Theater mit sozio-kulturellem Hintergrund, zeigte den 250 Besuchern am Donnerstagabend in der Stadthalle die Schattenseiten des Konsumdenkens. Annette Müller und die Schauspieler hatten aus Improvisationen 21 Szenen zu einer Collage erarbeitet und gestalteten daraus in schnellem Stakkato ein schonungsloses Bild der modernen Gesellschaft.
Sulz. „Das Zuviel ist zum Alltag geworden“ stellt eine der Akteurinnen in dem Theaterstück „Kauf dich glücklich!“ fest. Die unübersichtliche Menge an Möglichkeiten, materiell, beruflich oder privat glücklich zu werden, bewirkt bei den Menschen aber genau das Gegenteil: Sie bleiben unzufrieden, weil sie unfähig sind, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Da erscheint der Wunsch eines jungen Mannes, ein Schreibtisch zu sein, um „einfach nur da zu sein und einen festen Platz im Leben zu haben“, geradezu nachvollziehbar.
In Plastiktüten von Modeherstellern gehüllt, stellten die Mimen des „Theaters im Gewölbe“ bei der Lamathea-Preisträger-Aufführung mit dem Stück „Kauf dich glücklich!“ von Annette Müller die Herkunft von Billigkleidern in Frage. Bild: cap
Aber was ist überhaupt die richtige Wahl? Ist es das buchstäbliche Verbeißen in einer bestimmten Kekssorte, das Glück verheißt? Gehörig auf die Schippe genommen werden auch die „Mit einem Klick zum Glück“-Versprechen von Online-Partnerbörsen: Trotz scheinbar riesiger Auswahl hat die Schauspielerin an jedem der Kandidaten etwas auszusetzen – ihre Sehnsucht nach Mr. Perfect scheitert an den zu hohen Ansprüchen.
Überhaupt das Internet: Drei im Hamsterrad der Arbeit gefangene Männer sind sogar zu beschäftigt und zu erschöpft, um mit ihren Partnerinnen ein Trennungsgespräch zu führen – „Guck bei Wikipedia“, empfehlen die für ein Privatleben untauglich Gewordenen.
Der Spiegel, den die Inszenierung von Annette Müller den Zuschauern vorhält, ist zwar erschreckend. Durch die Vielfalt der postdramatischen Möglichkeiten, derer sich die Akteure dabei bedienen, reißen die Szenen das Publikum aber in einen wahren Sog an Eindrücken, der oft gleich mehrere Sinne gleichzeitig herausfordert: Während im Hintergrund Electro-Klänge wummern, laufen eine Foto-Show oder Videoprojektionen auf einer überdimensionalen Leinwand aus Papiertüten, derweil die 16 zumeist jugendlichen Schauspieler auf und vor der Bühne in grellfarbiger Kleidung tanzen – so erlebt auch der Theaterbesucher die dargestellte Überforderung und muss sich entscheiden, welchem Teil des Geschehens er seine Aufmerksamkeit widmet. Als Bühnenbild dienen in Folie eingeschweißte Bierkisten, die immer wieder neu auf- und umgestapelt werden – zu Supermarktregalen, Schreibtischen oder Rednerpulten. Aus Zivilisationsmüll wie Plastiktüten schneidern die Darsteller schicke Kostüme und üben so Kritik an Billigkleidung.
Subtile Botschaften werden gerne auch durch ironische Choreografien vermittelt – etwa, wenn das Ensemble zum „Gefangenenchor“ aus „Nabucco“ knickst, die Hände zur Merkel’schen Raute geformt.
Besondere Erwähnung verdienen die raffiniert eingesetzten Hell-Dunkel-Effekte: Mal ist es stockduster, mal glimmen winzige Leucht-Dioden auf, dann ist plötzlich der Bühnen-Vorraum in gleißendes Licht getaucht.
So schwelgt jeder in großen Träumen vor sich hin, bis eine Akteurin nach einer Rede „an das liebe Leben“ erschöpft zusammenbricht. Am Schluss erscheint ein eingeblendeter Satz: „Wie eingebildet sind denn unsere Wünsche, dass sie glauben, sie würden alle in Erfüllung gehen?“ Trotz der Fülle an Eindrücken, die während des 80-minütigen Stücks auf die Besucher einprasselten, blieb Raum für Assoziationen. Mindestens eines haben die Darsteller in ihren Rollen und die Zuschauer gemeinsam: Antworten auf die vielen gestellten Fragen muss jeder selbst finden.
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