OFFENBURG (rwb). Veronika beschließt zu sterben. Sie nimmt Tabletten, landet in einer psychiatrischen Anstalt, wird zum Versuchsobjekt des Arztes und entdeckt das Leben neu. Klavierspielen hilft, die Liebe auch und sie stirbt nicht. Was ist normal und was ist verrückt?
Nach dem autobiografisch inspirierten Roman „Veronika beschließt zu sterben“ von Paulo Coelho hat die Theaterklasse der Kunstschule unter der Leitung von Annette Müller jetzt eine sehr beachtliche Inszenierung mit raffinierten Einfällen auf die Bühnenbretter im Salmen gebracht. Veronikas Todessehnsucht wird mit dem „Wegweiser“ („das törichte Verlangen treibt mich in die Wüstenei“) aus Schuberts Winterreise zu Beginn musikalisch unterstützt, am Schluss mit dem Matthias-Claudius-Lied „Vorüber, ach vorüber, geh wilder Knochenmann“, das Schubert ebenfalls vertonte. Auch Zeilen aus dem Leo-Lionni-Buch „Frederick“, von dem Mäuserich, der im Sommer Farben und Worte sammelt, um über den Winter zu kommen, umklammern den Abend, in dessen Verlauf nach und nach deutlich wird, warum die Patienten in der Anstalt gelandet sind und dass sie dort zu Marionetten werden.
Raffiniert ist der Schreibtisch des Arztes im Publikum platziert, und immer, wenn Dr. Igor (Maximilian Heckmann) dort herrlich überlegen, die Finger reibend sitzt, werden seine unterkühlten Patientengespräche per Video auf die beige-weiße Stoff-Leinwand im Bühnengrund übertragen. Später dient der Vorhang der von Vanessa Feyrer sensibel zart gespielten Veronika als Sichtschutz für den Striptease, mit dem sie ihrem Verehrer in der Anstalt, dem schizophrenen, an den Rollstuhl gefesselten Eduard (Nepomuk Siebert) auf die Beine hilft, was die ärztlich verordneten Elektroschock-Therapien nicht schafften. Diskussionsthema unter den Anstaltsbewohnern, der depressiven Zedka (Souad Lemdjadi), der unter Panikattacken leidenden Mari (Luisa Riemer), dem unter Persönlichkeitsspaltung leidenden Tonto/Sebastian (Deniz Cinar) und dem wahnhaftentrückten Heinrich (Aaron Hügel) ist Veronikas Selbstmord und die Frage, wo sich’s besser lebt, in der Anstalt oder draußen. Tonto fühlt sich durch Veronikas Klavierspiel gestört, Eduard bekommt einen Anfall, die Situation eskaliert. Immer wieder müssen sich die beiden Krankenschwestern (Jana Tüchler, Eliane Ouraga) bemühen, die Ordnung herzustellen. Das Angehörigen-Schuld-Problem wird durch den Auftritt von Veronikas Mutter thematisiert.
Die fünfte Theaterproduktion von Annette Müller an der Kunstschule ist mit großer Begeisterung vom Publikum aufgenommen worden.
Autor: rwb
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